cultivating_emotional_balance_Hintergrund

Ziel des Lebens ist die Selbstentwicklung. Das eigene Wesen völlig zu Entfaltung bringen, das ist unsere Bestimmung.

~ Oscar WIlde

Wie funktioniert CEB?

CEB basiert unter anderem auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Natur unserer Emotionen1, hier besonders bezüglich der von Paul Ekman herausgearbeiteten sieben universellen Gefühlslagen: Angst, Traurigkeit, Wut, Überraschung, Ekel, Verachtung und Freude. Ekman belegte in den späten sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch seine anthropologischen Forschungen in Papua Neuguinea die Universalität emotionaler Ausdrucksformen. Zuvor wurde angenommen, dass der Ausdruck von Gefühlen eher einer kulturellen Prägung entstammen. Ekmans Studien bildeten allerdings nur die Startsequenz einer Jahrzehnte währenden Forschungsarbeit zum Thema der Natur, der Wirkung und der Erscheinung von Gefühlen, die in unzähligen wissenschaftlichen Forschungsprogrammen und Studien bis in die jüngste Vergangenheit ihren Niederschlag fand. Paul Ekman zählt somit zu den Pionieren einer wissenschaftlichen Erforschung des Wesens der Emotionen. Vor allem auf dem Gebiet der Erforschung von Mikroexpressionen hat Ekman wesentliches zu einem klareren Verständnis menschlicher Interaktion geleistet.

Ein besonders spannendes Ergebnis dieser Bemühungen ist ein Model des zeilichen Ablaufs einer typischen emotionalen Episode (Abb. 3). Trotz seiner Einfachheit vermag dieses Model in der Anwendung die Komplexität menschlicher Interaktion weitgehend zu fassen und zu strukturieren. Demnach lässt sich eine emotionale Episode im Wesentlichen in drei Stadien einteilen.

CEB Timeline

1. Der Auslöser einer emotionalen Episode

Auf der Basis bestimmter Vorbedingungen kommt es zu einem Ereignis, das unter verschiedenen Umständen zum Auslöser (Trigger) einer Emotion werden kann. Damit dies geschieht, müssen bestimmte Erfahrungen, Gewohnheitsmuster oder Sichtweisen vorhanden sein, auf die dieser Auslöser sich bezieht, oder wodurch das Auslösen einer emotionalen Episode zumindest gerechtfertigt wird. Kinder trödeln zum Beispiel oft des morgens vor der Schule. In einer entspannten Situation werden die meisten Eltern es mit einer Ermahnung bewenden lassen. Hat man selbst aber schlecht geschlafen oder ist unter Stress, weil an diesem Tag noch viel zu erledigen ist, so sind die Vorbedingungen geschaffen, dass das Trödeln des Kindes zu ein Trigger werden kann. Wenn zudem das Kind nicht zu ersten Mal trödelt, sondern dieses Verhalten zu allmorgendlichen Diskussionen führt, so finden sich diese Erfahrung auch in der „Datenbank“. Durch die wiederholte Trödelei fühlt man sich vielleicht um so mehr provoziert. Die Erinnerung an die gefühlt zahllosen vorhergegangenen Situationen dieser Art, und vielleicht generell das Gefühl, in der eigenen Autorität untergraben zu sein, „bringt das Fass zum Überlaufen“. Es kommt zu einem Wutausbruch. Die „Datenbank“ enthält die konative, kognitive, aufmerksamkeitsbasierte und emotionale Konfiguration2 unseres geistigen Lebens auf deren Basis ein Ereignis eine Emotion auslösen kann.

2. Die Erfahrung einer Emotion

Nachdem eine emotionale Episode einmal in Gang gekommen ist, kann man an sich selbst je nach Emotion spezifische psychische wie physische Veränderungen wahrnehmen. Die Herzfrequenz ändert sich, der Blutdruck steigt, die Schweißproduktion wird erhöht. Auch werden Gedanken, Bilder oder Erinnerungen ausgelöst, die dann ihrerseits wieder als Auslöser funktionieren können. Meist bleiben diese Veränderungen im Eifer des Gefechts unbemerkt. So wird man vielleicht darauf hingewiesen, dass man laut und wütend redet, entgegnet aber noch lauter und wütender: Ich bin nicht wütend!

In seiner Forschungsarbeit fand Paul Ekman heraus, dass ein emotionales Ereignis selten länger als eine paar Sekunden dauert. Während dieser Zeit kommt es allerdings zu sich verstärkenden Rückkopplungsprozessen, in denen sich das Ereignis, das die jeweilige Emotion ausgelöst hat, wieder ins Bewusstsein drängt, so dass die Emotion erneut ausgelöst wird (›retriggering‹). Es folgt eine Periode der stark eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten, die Refraktärphase3. Nur Gedanken und Erinnerungen, welche die entsprechende Emotion stützen und nähren, kommen beinahe zwanghaft wieder und wieder zu Bewusstsein: Das Kind trödelt jeden Morgen, ich habe das Recht mich aufzuregen, ich habe es schon tausend Mal gesagt, jetzt muss aber mal Schluss sein damit etc.. Andere, relativierende Gedanken und Gefühle werden systematisch herausgefiltert. Die Meisten von uns haben die Erfahrung gemacht, dass es sogar gut tun kann, diese Gefühle wieder und wieder zu „füttern“.

3. Das Verhalten während einer emotionalen Episode

Oft verhalten wir uns während einer emotionalen Episode in einer Weise, die wir vielleicht später bereuen, oder die – selbst wenn wir sie nicht bereuen – zu destruktiven Ergebnissen für einen selbst und für andere führt. Wenn ich beispielsweise morgens das trödelnde Kind wütend anfahre, kommt es wahrscheinlich zu Streit und weiterer schlechter Laune, vielleicht sogar zu Tränen. Zudem wird die Zeit wahrscheinlich noch knapper, so dass ein Wutausbruch in dieser Situation das Gegenteil von dem bewirkt, was man eigentlich erreichen möchte. Dieses Verhalten entspricht einer eher destruktiven Reaktion auf eine emotionale Episode. Im Gegensatz dazu bietet sich die Möglichkeit eines konstruktiven Umgangs mit einer Emotion. Zum Beispiel kann man mit dem Nachwuchs besprechen, etwas früher aufzustehen oder aber schon am Abend zuvor Vorkehrungen für den Morgen zu treffen. Stellt man die entsprechenden Symptome einer Emotion bei sich selbst fest, kann man versuchen, das ›retriggering‹ bewusst zu unterbrechen, indem man sich beispielsweise für einige Minuten zurückzieht, um die Wut verrauchen zu lassen. Das gilt für so ziemlich jede Emotion. Sie kann in konstruktiver oder in destruktiver Weise zum Ausdruck gebracht werden. Dabei spielen unter anderem Gewohnheitsmuster und Erwartungen eine Rolle, die meist unbewusst ablaufen. Wie kann es aber gelingen, zu einer mehr und mehr konstruktiven Ausdrucksweise von Emotionen zu kommen?

Einfluss gewinnen und erweitern

Wenn man das Schema zum Ablauf von Emotionen betrachtet, gibt es mehrere Bereiche, in denen man Einfuß gewinnen kann:

Zum einen kann man versuchen, die Vorbedingungen zu verändern. Sind die entsprechenden Bedingungen, die zu einer emotionalen Episode führen, nicht vorhanden, kann auch das jeweilige Ereignis nicht eintreten. Reduziere ich etwa meinen Stress durch eine geschicktere Tagesplanung, nervt wahrscheinlich das trödelnde Kind am Morgen schon viel weniger. Schon eine Änderung der Gewohnheiten kann also schon helfen, das Auftreten destruktiver Emotionen zu verringern.

Ein anderer wichtiger Einflussbereich stellt die „Datenbank“ dar. Ohne bestimmte Vorstellungen, Sichtweisen, Meinungen, Erwartungen, Ängsten und Hoffnungen, fallen einige Trigger weg, die sonst eine emotionale Episode ausgelöst hätten. Um die Arbeitsweise unserer „Datenbank“ zu beeinflussen, sind vier Formen der Balance von Bedeutung, die sich gegenseitig beeinflussen und verstärken können.

Schließlich kann man auch, sobald man das Aufwallen einer starken Emotion spürt, entsprechende Gegenmittel einleiten, indem man sich etwa aus der Situation für einige Minuten zurückzieht, um die Refraktärphase vorbeiziehen zu lassen – bis man mit anderen Worten wieder einen „klaren Kopf“ bekommen hat. Hier sind die geübte Aufmerksamkeit, der achtsame Umgang mit sich selbst und dem Gegenüber und die Erfahrung im Umgang mit den eigenen Emotionen von besonderer Bedeutung.

1 Ekman, Paul. Emotions Revealed, Recognizing Faces and Feelings to Improve Communication and Emotional Life, Owl Books, New York; 2004. In deutscher Übersetzung: Ekman, Paul. Gefühle lesen – Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, Springer Verlag, Heidelberg Belin, 2017

2 Siehe auch die vier Formen der Balance

3 Dieser von Paul Ekman verwendete Begriff hat höchstens mittelbar mit der aus der Sexualforschung bekannten Refraktärzeit nach einem Orgasmus zu tun. Ekman definiert den Begriff folgendermaßen: „Eine Zeitlang befinden wir uns in einer Art Refraktärzustand, einer Phase, in der unser Denken keine Information verarbeiten kann, die nicht zu dem beherrschenden Gefühl passe, es nicht nähren und rechtfertigen.Ekman, Paul. Gefühle lesen – Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, Springer Verlag, Heidelberg Belin, 2017, S.56