cultivating_emotional_balance_Hintergrund

Das Glück ist ein Wie, kein Was;
ein Talent, kein Objekt.

~ Herrmann Hesse

Zwei Formen des Glücks.

Es gibt zumindest zwei Bereiche, in die man die vielfältigen Erfahrungen des Glücks einteilen kann. Der eine Bereich wird durch die Arten von Glück bestimmt, die man von der Welt bekommen kann. Diese Form von Glück besteht in der Stillung individuellen physischen und psychischen Verlangens. Besonderes Kennzeichen dieser Form von Glück: Ist ein Bedürfnis befriedigt, kommt es nach einer vergleichsweise kurzen Phase des Glücksempfindens bald zu einer Gewöhnung und dann zu einem erneuten Gefühl von Mangel, das nach einem anderen, neuen Gegenstand und nach einer anderen Befriedigung verlangt. Der Prozess beginnt wieder von vorne.

Der andere Bereich des Glücks ist jener, den man erfahren kann, wenn man der Welt etwas zu geben hat. Es ist die Empfindung einer heitere Grundtendenz im Leben durch eine allgemeine ethischen Ausrichtung im Alltag, die mindestens ebenso sehr nach dem Wohl der anderen schaut wie nach dem eigenen. Ausdruck findet diese Form des Glücks zum Beispiel in einer Beschäftigung, die als sinnvoll erlebt wird. Es ist also ein Glück gemeint, das seinen Ursprung im Menschen selbst findet (genuine happiness) und das nicht von äußeren Stimuli abhängig ist, nicht in der Stillung eines Verlangens besteht und nicht die Konsequenz eines Bedürftigkeit welcher Art auch immer ist. Es ist viel mehr die Erfahrung von Erfüllung und Befriedigung, die auf einer wechselseitigen Art der Weltbeziehung basiert, und weit weniger eine Haltung, die die Welt als einen Ort missversteht, der den eigenen Erwartungen, Bedürfnissen und Hoffnungen entsprechen sollte.

Weiterhin kann man die Erfahrungen von Glück in solche unterscheiden, die für einen selbst und andere kurz-, mittel, oder langfristig schädlich sind und solche die unschädlich oder vielleicht sogar nützlich sind, sowohl jetzt als auch in der nahen oder fernen Zukunft. Wer sind die anderen? Alle Wesen, seien es nun Menschen, Tiere, ja selbst Pflanzen.

Der Einzelne und die Masse

In unserer Zeit wächst die Menschheit langsam und mit vielen Gefahren und Chancen begleitet zu einer globalen Gemeinschaft zusammen. Einzelentscheidungen sind in diesem Sinne fast immer auch globale Entscheidungen. Der oft zitierte kategorische Imperativ, den Immanuel Kant 1785 formulierte, „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, wird in unserer Zeit zu einer ethischen Maxime von globalen Dimensionen. Werden Bedürfnis und Befriedigung eines Einzelnen zu einem Massenphänomen, hat das sofort Auswirkungen auf die großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zusammenhänge unserer Zeit. Welche Konsequenzen sind beispielsweise zu erwarten, wenn jeder Mensch auf diesem Planeten ein Elektroauto fahren, jeden Tag Fleisch essen, zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen möchte?

Die Form der Erfüllung unserer Bedürfnisse ist in vielfältiger Weise gestaltender Faktor für die Zukunft unserer Welt geworden – im Positiven wie im Negativen. Darum ist die Entscheidung, welche Bedürfnisse der Einzelne in welcher Weise erfüllen möchte, immer auch eine politische Entscheidung, eine Form der Weichenstellung in Fragen der Zukunft. Das Wissen um die eigenen Bedürfnisse, um deren Ursprung und ein verantwortungsvoller Umgang damit, wie diese Bedürfnisse Erfüllung finden, ist von entscheidender Bedeutung.

Ökonomie einmal anders gedacht

Möchte man glücklich sein, lohnt sich ein Blick auf das Verhältnis von Aufwand zu Erfolg. Wie viel Aufwand muss ich betreiben, wie viel (oder wie wenig) Geldmittel muss ich investieren, um wie und vor allem wie dauerhaft glücklich zu werden? Wie lässt sich vielleicht der Aufwand minimieren, und wie findet man zugleich den Weg in ein gelingendes Leben, ohne dass das Leben bei dem Versuch, es glücklich zu führen, auf der Stecke bleibt?

Manche Menschen arbeiten ein Leben lang auf ein potenzielles Glück hin: nie wieder arbeiten müssen, ein Eigenheim besitzen, berühmt werden, Karriere machen, usw.. Andere werden von der Erfüllung eines Wunsches zum nächsten getrieben, ohne dabei noch wesentlich glücklicher zu werden zu können. Im Gegenteil: das besondere an den »Tretmühlen des Glücks1« ist, dass man gewissermaßen durch Löschen des Durstes noch durstiger wird – und das mit negativen Konsequenzen für alle. Gerade durch ausuferndes Konsumverhalten, das große Mengen an Ressourcen verbraucht, kommen soziale und ökologische Gefüge immer wieder in eine bedrohliche Schieflage.

Gibt es einen Weg, mit geringem materiellem Aufwand dauerhaft glücklich zu werden? Wenn man schlammiges Wasser einige Zeit stehen lässt, dass sich die Schwebstoffe absetzen können, wird es wieder klar. Ebenso findet der Geist, wenn es gelingt, ihn für einige Zeit zur Ruhe zu bringen, zu seiner ursprünglichen Klarheit zurück. Diese Klarheit ist von einer tiefen Empfindung von Glück begleitet, die nicht von äußeren Stimuli abhängig ist. Das bedeutet Unabhängigkeit und Freiheit. Diese Form von Glück ist, sobald die existenziellen Grundbedürfnisse gedeckt sind, ohne großen materiellen Aufwand zu haben. Es besteht aus dem dynamischen Zusammenspiel folgender Faktoren:

  • mentales Gleichgewicht
  • eine ethische Ausrichtung im Alltag
  • Weisheit im Denken und Handeln

Wie lassen sich diese Faktoren entfalten und kultivieren?

1 Mathias Binswanger; Die Tretmühlen des Glücks: Wir haben immer mehr und werden nicht glücklicher. Was können wir tun?; 8. Auflage. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau,2019