cultivating_emotional_balance_Hintergrund

Das beste Mittel gegen Stress ist unsere Fähigkeit, einen Gedanken einem anderen vorzuziehen.

~ William James

Die vier Formen der Balance

Das Programm Cultivating Emotional Balance strebt ein Gleichgewicht in Bezug auf vier große Bereiche unseres Lebens an:

  • Balance in Bezug auf Zielvorstellungen (konatives Gleichgewicht)
  • Balance in Bezug auf die Ressource Aufmerksamkeit (aufmerksamkeitsbasiertes Gleichgewicht)
  • Balance in Bezug auf die Vorstellungen von der Wirklichkeit (kognitives Gleichgewicht)
  • Balance in Bezug auf den Umgang mit Gefühlen (emotionales Gleichgewicht)
CEB Timeline

Konatives Gleichgewicht

Das Wort konativ bezieht sich auf Begriffe wie Zweck, Wunsch, Absicht und Willen. Welche Ziele verfolge ich? Sind diese Ziele erreichbar? Warum versuche ich ein bestimmtes Ziel zu erreichen? Dient dieses Ziel nur meinem eigenen Wohlsein oder auch dem Wohlsein anderer?

Ein Ziel, eine generelle Ausrichtung im Lebens ist von entscheidender Bedeutung für emotionales Gleichgewicht, denn ohne eine Vorstellung davon, was ich mit meinem Leben anfangen möchte, münden meine Tätigkeiten oft bloß in der Sorge um persönliche Wunscherfüllungen. Daran ist nichts Schlechtes. Erfahrungsgemäß führt aber das, was man vielleicht einen Sinn im Leben nennen kann – ein Sinn, der über das eigene Sein hinausgeht – zu einer anderen, direkteren Beziehung zu der Welt um uns herum. Zugleich ist es wichtig, Ziele zu finden, die sich im Einklang mit den Anforderungen der Wirklichkeit befinden. Gerade unrealistische, übersteigerte Zielvorstellungen (konative Hyperaktivität) führen oft zu Angst, Depressionen und einem Gefühl von Scheitern und Versagen. Aber auch fehlender Mut oder Vorstellungsvermögen bezüglich einer sinnhaften Ausrichtung des Lebens (konatives Defizit) führen in der Konsequenz oft zu Resignation, zu Apathie und zu dem Gefühl, einer stummen Welt gegenüber zu stehen: Die Welt ist wie sie ist, und ich kann daran nichts ändern.1 Eine konative Balance würde also in Zielvorstellungen bestehen, die offen genug sind, meinem Leben einen über mein persönliches Wohlbefinden hinausgehenden Sinn zu geben, und die gleichermaßen meinen Möglichkeiten und den Gegebenheiten meiner Lebenswirklichkeit entsprechen.

Aufmerksamkeitsbasiertes Gleichgewicht

Wie kann ich das erreichen, was ich mir vorgenommen habe? Wie kann ich verändern, was mich stört?

Egal, welches Ziel ich verfolge, es ist unumgänglich, diesem Ziel ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zu widmen. Was wie eine Plattitüde klingt, wird zu einer echten Herausforderung, wenn ich beobachte, ob und wie weit mir das im Alltag gelingen will. Ein zielführendes Engagement besteht in der Fähigkeit, einem Gegenstand mit Leichtigkeit und Dauer die gewünschte Aufmerksamkeit widmen zu können. Auf diese Weise beginne ich, mein Leben und meine Umwelt aktiv zu gestalten, anstatt mehr oder weniger passiv von einer Ablenkung zur nächsten gezogen zu werden. Wenn die konative Balance die Zielrichtung vorgibt, besteht die aufmerksamkeitsbasierte Balance in der Fähigkeit, dieser Richtung auch kontinuierlich zu folgen. Aufmerksamkeit ist eine Fähigkeit, die sich wie ein Muskel trainieren lässt. CEB zeigt, wie das gelingen kann.

Kognitives Gleichgewicht.

Üblicherweise nehme ich an, dass das, was ich über die Welt weiß, weitgehend der Wirklichkeit entspricht. Allerdings entspricht das nicht ganz den Tatsachen, denn Meinungen, Sichtweisen, unbewusste Strömungen färben die Welt bis zu einem Maße ein, dass dem einen der Himmel auf Erden, was dem anderen die Hölle ist.2

Es ist nichts neues, dass wir Menschen Dinge, Erlebnisse oder Situationen in zum Teil sehr unterschiedlicher Art und Weise erleben. Oft bleibt aber diese Art des Erlebens, bleiben die Urteile, auf die dieses Erleben beruht, unhinterfragt. Dabei kann schon ein leichter Wechsel der Perspektive auf mich selbst oder meine Umwelt die Qualität meiner Erfahrungen entscheidend verändern. Als Wahrheiten oder Tatsachen geglaubte Sichtweisen und Urteile, die zum Teil evolutive Ursachen haben oder kulturellen Prägungen und persönlichen Erfahrungen entstammen, verzerren häufig meine Wahrnehmung. Indem ich etwa einem Phänomen Attribute hinzudichte, die es nicht enthält, oder aber umgekehrt, Attribute nicht wahrnehme, die unbedingte Teil eines Phänomens sind, wird die Welt zu einer von mir gefärbten Welt. Die Farben dieser Welt – hell oder dunkel, kalt oder warm, grau oder bunt – wiederum bilden die Basis für die Qualität meines Erlebens. Ich bin also, zumindest soweit es meine eigene Wahrnehmung angeht, in der Lage, meine Stellung in der Welt positiv zu hinterfragen und zu gestalten.

Die Welt ist immer viel bunter und vielschichtiger, als ich hineinzudichten oder zu erwarten in der Lage wäre – nicht davon zu reden, wie eindimensional Wirklichkeit werden kann, wenn ich bestimmte Teile von ihr nicht wahrnehmen kann oder will. Wenn ich beispielsweise in eine Person verliebt bin, meine ich, in ihr oder ihm das zu finden, was ich zuvor gesucht habe. Irgendwann aber, wenn der erste Rausch verflogen ist, entdecke ich vielleicht das im Anderen, was eigentlich da ist. Liebe kann entstehen, wenn aus dieser Ent-Täuschung Neugierde wird. Der Reichtum der wirklichen Person, die sich mir dann allmählich offenbaren mag, hat möglicherweise nicht mehr viel zu tun mit der erdichteten oder erhofften Person, die ich zuvor gesucht hatte. Möglicherweise entdecke ich einen Menschen, der viel tiefer, vielschichtiger, sensibler und verletzlicher ist, als ich je habe ahnen können. Das gleiche gilt für jede Form der Weltbeziehung.

Kognitive Balance besteht also darin, der Wirklichkeit, Sachverhalten, anderen Menschen aber auch der eigenen Person, den eigenen Gedanken und Emotionen ergebnisoffen und neugierig entgegenzutreten. Die Kultivierung einer kognitiven Balance besteht darin, mich nicht zu schnell mit Erkenntnissen oder Urteilen zufrieden zu geben, und die Welt nicht an meinen eigenen Erwartungen, Hoffnungen oder Abneigungen zu messen. Dann wird die Wirklichkeit für mich um so reicher und bereichernder werden. Das betrifft sowohl den Umgang mit mir selbst als auch mit allen anderen Wesen.

Emotionales Gleichgewicht

Emotionales Gleichgewicht ist sowohl Konsequenz als auch wiederum Bedingung für die drei anderen Arten des Gleichgewichts. Es besteht in der Wahrnehmung und im Verständnis der eigenen emotionalen Verhaltensweisen, deren Auslöser und deren Verlauf. Emotionale Balance besteht in der Fähigkeit, von diesem Wissen ausgehend Handlungsoptionen zu finden, die statt eines destruktiven einen konstruktiven Umgang mit Gefühlen und so auch mit dem Gegenüber ermöglichen.

1 Noam Chomsky: „Wenn Sie davon ausgehen, dass es keine Hoffnung gibt, so stellen Sie damit sicher, dass es keine Hoffnung geben wird. Wenn Sie aber davon ausgehen, dass es einen Antrieb zur Unabhängigkeit gibt, gibt es viele Möglichkeiten, Dinge zu verändern. Dann gibt es auch für Sie die Chance, etwas zu einer besseren Welt beizutragen. Die Wahl liegt bei Ihnen.“

2 Es ist der Geist sein eigner Raum, er kann/ In sich selbst einen Himmel aus der Hölle, / Und aus dem Himmel eine Hölle schaffen.Milton, John. Das verlorene Paradies. Übers. v. Adolf Böttger, Leipzig: Verlag Philipp Reclam, S.9